Bundeshaus, Beiz, Hotelzimmer – das zeigt Bäumles Luftmessung
246 Personen in einem Raum – das ist zu einer Rarität geworden, seit die zweite Covid-Welle über die Schweiz schwappt. Eine der wenigen Ausnahmen bildet das Bundeshaus, wo sich am Mittwoch für die Vereinigte Bundesversammlung auch die Ständeräte in den Nationalratssaal drängten.
Mit einem Messgerät tauchte Martin Bäumle zur Session auf. Wegen Corona will er auf Nummer sicher gehen. Uns hat er nun seine Daten gezeigt.
Nicht ganz wohl ist es dabei dem grünliberalen Zürcher Nationalrat Martin Bäumle. Der Zahlennarr und ausgebildete Atmosphärenwissenschaftler hat während seiner Sessionstage ständig die Luftqualität gemessen, um möglichst auf Nummer sicher zu gehen (lesen Sie, wie er das machte). Von seinen Erkenntnissen könnten auch Private profitieren, ist er überzeugt – weil sie potenziell gefährliche Situationen meiden könnten. Denn selbst im Bundeshaus war die Luft nicht ganz so gut, wie Bäumle zunächst gehofft hatte.
«Stickige und trockene Luft erhöht das Risiko einer Übertragung des Coronavirus», sagt Bäumle. Stickig wird die Luft, wenn der Sauerstoffgehalt sinkt und sich Kohlenstoffdioxid anreichert, das Menschen ausatmen. Analog konzentrieren sich auch ausgeatmete Viren in der Luft – einer der Wege, mit denen das Sars-CoV2-Virus übertragen wird. Das Bundesamt für Gesundheit bezeichnet Ansteckungen durch die sogenannten Aerosole als «nicht häufig», häufiger seien Tröpfcheninfektionen bei zu geringem Abstand.
Doch einige Epidemiologen warnen seit Monaten, dass der Bedeutung von Aerosolen zu wenig Beachtung geschenkt werde. Sie verweisen etwa auf Japan, das rät, drei Risikosituationen zu meiden: geschlossene Räume mit mangelhafter Belüftung, Menschenmengen und Unterhaltungen auf geringe Distanz. Bäumle formuliert es so: «Ich bin überzeugt, dass Aerosol-Übertragung eine viel wichtigere Rolle spielt, als das Bundesamt für Gesundheit lange gemeint hat.»
«In trockener Luft sind die Schleimhäute anfälliger, unter anderem für Viren.»
Ist die Luft nicht nur stickig, sondern auch trocken, erhöht sich das Ansteckungsrisiko zusätzlich. «In trockener Luft sind die Schleimhäute anfälliger, unter anderem für Viren, und die ausgeatmeten Aerosole bleiben deutlich länger in der Schwebe als bei einer Luftfeuchtigkeit zwischen 40 und 60 Prozent», sagt Bäumle.
Zu feucht darf die Luft indes auch nicht sein, weil sich sonst Schimmel und Staubmilben breitmachen können. Während das Bundesamt für Gesundheit eine Luftfeuchtigkeit zwischen 30 und 50 Prozent empfiehlt, rät das deutsche Bundesumweltamt zu einer unteren Limite von 40 Prozent. Das gilt nicht nur für öffentliche Räume, sondern auch zu Hause.
Die Luft genügend feucht zu halten, ist vor allem im Winter ein Problem, weil kalte Luft wenig Wasser speichert. Wird sie in Räumen aufgeheizt, dehnt sie sich aus und die relative Feuchtigkeit sinkt stark. Das hat Bäumle auch im Parlamentsgebäude beobachtet, wo der Wert zwischen 34 und 24 Prozent schwankte, stets unter der Schwelle. «Im Bundeshaus ist die Luftqualität sehr gut», sagt der Zürcher Nationalrat. «Aber die Luft ist auch deutlich zu trocken, trotz Optimierungsmassnahmen.» Bäumle reagiert darauf pragmatisch: Er trinkt regelmässig Wasser und lutscht eifrig Tictac- oder Ricola-Bonbons, um seine Schleimhäute feucht zu halten.
Die Ansteckungsgefahr im Bundeshaus ist trotz trockener Luft klein, weil die Aerosol-Belastung tief ist. Sie wird in Millionsteln angegeben, auf Englisch abgekürzt mit ppm. Im Nationalratssaal schwankte der Wert bei Bäumles Messungen zwischen 500 und 680 ppm. Die Luft ist damit beinahe so frisch wie draussen und weit entfernt vom Grenzwert für gute Luft, der bei 1000 ppm liegt, und noch weiter entfernt vom Grenzwert für akzeptable Innenluft, den das BAG bei 2000 ppm ansetzt.
Dicke Luft in Restaurants
In Berner Restaurants hingegen scheinen die Werte viel schlechter zu sein. Das lässt zumindest Bäumles Selbstversuch vermuten. Am 8. Dezember verbrachte er den Mittag und den Abend in zwei Berner Restaurants, und in beiden Fällen stieg die CO₂-Konzentration weit über die empfohlenen 1000 ppm, um 50 bis 70 Prozent. Die Feuchtigkeit hingegen war grenzwertig bis zu tief. Beide Restaurants, die Bäumle nicht nennen will, hätten sich an die Schutzkonzepte gehalten – auch an die Abstandsregeln – und über grosszügige, hohe Räume verfügt.
Aus seiner Beobachtung zieht der Zürcher Nationalrat den Schluss: «Meine Messungen zeigen, dass auch in Restaurants, die alle Schutzmassnahmen einhalten, die CO₂-Werte und damit mutmasslich auch die Aerosol-Belastung zu hoch ist.» Er fordert deshalb, dass Gastrobetriebe und Behörden dafür sorgen, dass die Lüftungen optimiert werden. Das sei besonders wichtig jetzt, da die Temperaturen sinken und die Fallzahlen wieder steigen würden.
Die Parlamentsdienste haben das bereits gemacht: Ein- bis zweimal pro Stunde wird im Nationalrats- und im Ständeratssaal die Luft komplett ausgetauscht, wie das Bundesamt für Bauten und Logistik berechnet hat. Zudem kommt die frische Luft nach Angaben der Parlamentsdienste unten rein, die alte wird oben abgesaugt – allfällige virenbelastete Aerosole würden damit über den Köpfen der Parlamentarier davonschweben. Zu Hause und in Schulzimmern stehen solch potente Lüftungsanlagen nicht zur Verfügung; darum sollte dort mindestens drei- bis fünfmal pro Tag möglichst mit Durchzug gelüftet werden.