Aktuelle Informationen zur Luft- und Wasserhygiene

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Zuckerkrank durch die Nase?

Die Nase copyFeinstaub und verkehrsbedingte Schadstoffe erhöhen das Risiko für Diabetes. Menschen, die weniger als hundert Meter von einer Hauptverkehrsachse entfernt lebten, hatten gar ein 30 Prozent höheres Risiko, verglichen mit Personen, deren Haus mehr als 200 Meter von der nächsten Strasse stand.

TA vom 06.Mai 2016, Susanne Donner

Strassenverkehr macht zuckerkrank

Feinstaub und verkehrsbedingte Schadstoffe erhöhen das Risiko für Diabetes. Auf diesen Effektdeuten mehrere neuere Studien hin. Erklärt das ein gehäuftes Auftreten der Stoffwechselkrankheit?

«Alle Freunde staunen immer ungläubig, wenn ich über meine Forschung berichte», sagt Nicole Probst-Hensch von der Universität Basel. Die Pharmakologin und Epidemiologin glaubt nämlich, dass schlechte Luft Diabetes mellitus begünstigt. Zuckerkrank durch die Nase? Das klingt auf Anhieb ziemlich abwegig. Aber Probst-Hensch ist mit ihrer Auffassung zum einen nicht alleine. Zum anderen haben die Fürsprecher der kühnen These nicht nur eine, sondern etliche Dutzend unterschiedliche Studien vorzuweisen.

Da wäre eine Auswertung der Daten an knapp 6400 Schweizern von Probst-Hensch selbst. Sie suchte deren Wohnort heraus und schätzte daraus die Belastung mit Feinstaub und Stickoxiden anhand eines bewährten Luftverschmutzungsmodells ab. Sie fand: Je schlechter die Luft, die man zu Hause atmet, desto grösser ist die Gefahr einer Zuckerkrankheit. Liegt es daran, dass Übergewicht Diabetes begünstigt und dickere Leute in schmutzigeren Gegenden wohnen? Probst-Hensch rechnete diese und andere mögliche Fehlerquellen heraus, ehe sie ihre Entdeckung 2014 im Fachjournal «Environment International» öffentlich machte.

Heute, anderthalb Jahre später, ist sie sich ihrer Sache noch sicherer: «Eine höhere Feinstaub- und Stickoxidbelastung geht mit mehr Diabetesfällen einher. Auch unterhalb der Grenzwerte sehen wir schon diesen negativen Einfluss auf die Gesundheit. Je höher die Dosis ist, insbesondere an Feinstaub, desto deutlicher wird der Effekt.»

30 Prozent höheres Risiko
Die Studie ist kein einmaliger Ausreisser. Aus dem Ruhrgebiet meldet Gudrun Weinmayr, Gesundheitsforscherin an der Universität Düsseldorf, Ähnliches. Sie hatte 3607 Personen über fünf Jahre verfolgt. 331-mal stellten Ärzte Diabetes fest. Anhand des Wohnorts errechneten die Forscher, wie viel Feinstaub die Menschen ausgesetzt waren. Sie unterschieden Partikel mit weniger als 2,5 Mikrometern, kurz: PM 2,5, dem Dreissigstel eines menschlichen Haares, und Partikel mit weniger als 10 Mikrometern, kurz: PM 10. Auch aus praktischen Gründen, denn für beide Feinstaubtypen gelten unterschiedliche Grenzwerte. Wieder berücksichtigten die Wissenschaftler, dass Übergewicht, zu wenig Bewegung und ein geringer sozioökonomischer Status die Zuckerkrankheit begünstigen. Auch dass Ältere und Frauen eher von der Stoffwechselkrankheit betroffen sind, rechneten sie heraus. Trotz dieser Korrekturen fanden sie, dass viel Feinstaub am Heimatort häufiger zuckerkrank macht. Jedes Mikrogramm pro Kubikmeter mehr an PM 10 bedeutete einen Anstieg um 5Prozent. «Für einen Umwelteffekt ist das viel», sagt Weinmayr. Menschen, die weniger als hundert Meter von einer Hauptverkehrsachse entfernt lebten, hatten gar ein 30 Prozent höheres Risiko, verglichen mit Personen, deren Haus mehr als 200 Meter von der nächsten Strasse stand.

Zum Feinstaub gehören jene Teilchen in der Luft, die man mit blossem Auge nicht sehen kann und die nur wenige Mikrometer messen. Das sind etwa Partikel, die aus dem Auspuff kommen wie Russ, aber auch Reifenabrieb, aufgewirbelter Staub, Industrieabgase und Rauch aus der Biomasseverbrennung. Viel Schlechtes lasten Forscher dieser Staubmixtur an: Die Partikel verkürzen das Leben, führen zu Herzinfarkten und Atemwegserkrankungen. Babys kommen ihretwegen früher und mit geringerem Gewicht zur Welt. So viel gilt als gesichert.

Doch nun steht der Vorwurf im Raum, dass die Luftverschmutzung, allen voran der Feinstaub, auch für die globale Diabetesepidemie mitverantwortlich sein könnte. Das rückt die drastische Zunahme des Stoffwechselleidens in Ländern wie Indien, China und in den afrikanischen Staaten in ein ganz anderes Licht. Denn in Städten wie Delhi und Peking misst man mitunter das Zehnfache der Feinstaubbelastung, verglichen mit Schweizer Städten.

Den Anstoss für die Diskussion gaben 2009 Versuche an Mäusen. Amerikanische Forscher um Qinghua Sun bemerkten, dass ein Mäusestamm, der von Natur aus leicht Gewicht ansetzt, am Bauch rascher fett wird und seinen Zuckerspiegel schlechter austarieren kann, wenn die Tiere knapp ein halbes Jahr feinstaubreiche Luft atmeten. John Brownstein von der Harvard Medical School in Boston verknüpfte darauf Tausende von Daten von Diabetikern in den USA mit der Feinstaubbelastung in deren Landkreisen. Und Brownstein erkannte: 10 Mikrogramm je Kubikmeter mehr an PM 10 bedingten 10 000 Zuckerkranke mehr pro eine Million Einwohner.

Immunsystem wohl beteiligt
Wertet man den aktuellen Wissensstand aus, findet man dreizehn Studien aus Nordamerika und Europa, die belegen, dass schlechte Luft mit Diabetes vom Typ2, vom Typ1 oder mit Schwangerschaftsdiabetes einhergeht. Pro 10Mikrogramm je Kubikmeter mehr an Stickoxiden oder Feinstaub tritt die Krankheit um 8 bis 10Prozent häufiger auf. «Man kann diese Daten nicht mehr einfach wegreden», sagt die Autorin der Metaanalyse, Nicole Probst-Hensch - ein Seitenhieb auf die Politik, die in ihren Augen mehr gegen die Luftverschmutzung tun müsste. Auch die führende deutsche Feinstaubforscherin Annette Peters am Helmholtz-Zentrum München bekräftigt: «Es sieht ganz danach aus, dass insbesondere Feinstaub und verkehrsbedingte Schadstoffe Diabetes begünstigen können.» Da dies schon unterhalb der Grenzwerte passiere, müssten diese abgesenkt werden.

Nur: Wie können winzige Teilchen über die Nase die Bauchspeicheldrüse aus dem Gleichgewicht bringen? «Die Mechanismen verstehen wir noch nicht vollständig», räumt Probst-Hensch ein, «aber ich gehe nach allen Erkenntnissen stark davon aus, dass das Immunsystem dafür sorgt.» Feinstaubteilchen dringen in die Atemwege ein und werden dort von der Körperabwehr ähnlich wie Bakterien erkannt und bekämpft. Doch nicht nur die Lunge und die Bronchien reagieren so, auch andere Gewebe. Und schon länger diskutieren Forscher, ob Diabetes nicht auf einem chronischen Entzündungsgeschehen beruht, das den Blutzuckerspiegel aus dem Ruder laufen lässt, weil der Körper nicht mehr normal auf Insulin anspricht. Der Betroffene wird insulinresistent.

Auch Probst-Henschs neueste Studie mit knapp 3800 Schweizern bestätigt das. Je mehr Feinstaub diese ausgesetzt waren, desto eher zeigte ihr Stoffwechsel die beginnende Schieflage. «Interessanterweise ist der Zusammenhang bei sportlich aktiven Menschen besonders stark», berichtet die Forscherin. «Wir wissen, dass wir beim Sport tiefer und häufiger atmen und so mehr Feinstaub aufnehmen. Das wirft die Frage auf, ob man womöglich in stark luftverschmutzten Gegenden vom Joggen abraten muss, weil dies das Risiko für Diabetes zu stark erhöht.»

Skeptische Forscher wie der Umweltepidemiologe an der Universität Utrecht, Gerard Hoek, fordern allerdings weitere Untersuchungen. Sie haben einen triftigen Einwand: «An stark befahrenen Strassen gibt es nicht nur deutlich mehr Abgase, sondern es ist auch laut», so Hoek. «Es gibt aber eine Reihe neuerer Studien, die besagen, dass Lärm ebenfalls Diabetes begünstigt.» Vielleicht wird man also nahe der grossen Verkehrsachsen und in Ballungsgebieten tatsächlich eher zuckerkrank - nur nicht wegen des Feinstaubs, sondern wegen des Krachs. Bisher wurde in keiner der erwähnten Studien dieser mögliche Störfaktor berücksichtigt.

Fluglärm ebenfalls im Verdacht
Probst-Hensch glaubt jedoch an zwei getrennte Effekte. Denn am Flughafen London-Heathrow und in Stockholm erhöht Studien zufolge besonders das Getöse der nachts startenden und landenden Maschinen das Risiko einer Zuckerkrankheit bei den Anwohnern. Wäre alleine die Feinstaubbelastung schuld, müsste der Effekt Tag wie Nacht derselbe sein. Doch der Krach nach Einbruch der Dunkelheit stört den Schlaf und darüber mutmasslich auch den Stoffwechsel. Liegt die Basler Epidemiologin richtig, machen Flugzeuge wie auch Autos also in doppelter Weise häufiger als gewöhnlich zuckerkrank: einmal wegen des Krachs, ein zweites Mal wegen der Schadstoffe.

«Womöglich muss man in Gegenden mit besonders starker Luftverschmutzungvom Joggen abraten.»

Nicole Probst-Hensch, Universität Basel

Anmerkung: Die Studien gehen auf die Aussenluftqualität ein. Im Raum, wo wir uns meistens aufhalten,  ist die Luft in den meisten Fällen noch schlechter. Gute Lüftungsanlagen mit wirkungsvollen Filtern können verbesserte Bedingungen schaffen, auch für jene, welche in der Nähe von stark befahrenen Strassen (Lärm, Staub) leben.

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