Aktuelle Informationen zur Luft- und Wasserhygiene

Aktuelle Informationen zur Luft- und Wasserhygiene

Frisch-Luft killt das Klima

Gesicht NZZ Campus«In einem Hörsaal die Fenster aufzumachen ist nicht ausreichend für die Luft-Grundversorgung», sagt Prof. Kurt Hildebrand. 
Ohne Lüftung ist die Luft nach zehn Minuten «verbraucht».
Energie-Verluste über Fenster können laut Hildebrand mit einer modernen lüftungstechnischen Anlage auf 10 Prozent minimiert werden.

NZZ Campus vom 04.03.2015, Seite 58:
FRISCH- LUFT KILLT DAS KLIMA - LUCIA THEILER

In vielen Hörsälen bestimmt die Technik die Atmosphäre. Offene Fenster sind nicht vorgesehen. Da kann es schon mal passieren, dass Studierende in Ohnmacht fallen.

Die Berner Kunstgeschichtsstudentin Alexa mag alles, was alt ist: Möbel, Bilder, Skulpturen. Vorlesungen darüber hören mag sie aber nur in modernen Sälen. Sie sagt, sie könne sich dort besser konzentrieren. Gerade in kleinen, älteren Räumen wird die Luft nämlich schneller schlecht. Manche Studierende reissen dann die Fenster auf. Frierende Kommilitonen schliessen sie gehässig wieder. Der Kampf um frische Luft wiederholt sich ständig.

«In einem Hörsaal die Fenster aufzumachen ist nicht ausreichend für die Luft-Grundversorgung», sagt Kurt Hildebrand, Professor für Gebäudetechnik an der Hochschule Luzern (HSLU). Er hat Tests gemacht mit 30 Studierenden in einem Schulungsraum von 240 Kubikmetern Inhalt. Ergebnis: Ohne Lüftung ist die Luft nach zehn Minuten «verbraucht». Um die Luftqualität auf einem erträglichen Niveau zu halten, müssten drei Kippfenster permanent offen stehen. Der Energieverlust in einem solchen Raum entspräche rund 500 Litern Heizöl – oder dem Energiebedarf eines Minergiehauses in einem Jahr. Diese Verluste können laut Hildebrand mit einer modernen lüftungstechnischen Anlage auf 10 Prozent minimiert werden.

Moderne Hörsäle sind darum meist nach Standards mit Grenzwerten im Energieverbrauch gebaut, in Bern etwa nach dem sogenannten Minergie-P-Standard. Der Kampf ums Fenster entfällt, denn sie lassen sich gar nicht erst öffnen.

PH Zürich: Student kollabiert

Doch ist das gut? An der Pädagogischen Hochschule Zürich gab es 2012 nach Bezug des neuen Gebäudes Reklamationen – unter anderem wegen der geschlossenen Fenster. Ein Student kollabierte. Im Neubau der Universität Luzern klagten mehrere Personen über Hitze und Kopfschmerzen in einem der fensterlosen Hörsäle.

Experten sagen, dass sie moderne Hörsäle erst nach vier Jahreszeiten optimieren könnten. Tatsächlich? Es ginge auch mit Simulationen. Laut Hildebrand müsste man alle komplexeren Bauten vor Gebrauch wie einen Formel-1-Wagen in einem Windkanal testen. «Thermische Simulationen für Gebäude existieren seit Jahrzehnten», sagt er.

An der PH Zürich hat man anstatt simuliert getüftelt. Zum Beispiel wurden Pflanzen in die Räume gestellt, die Feuchtigkeit abgeben. An der Universität Luzern wurde nachträglich für 5,8 Millionen Franken ein Kühlsystem eingebaut. Ziel sind Höchsttemperaturen von 26 Grad. Auch geheizt wird automatisch. Die Technik kalkuliert exakter als der Mensch: Sie weiss, dass ein Grad mehr Wärme etwa sechs Prozent höhere Energiekosten ausmacht.

An der Universität Zürich sind nahezu alle grösseren der insgesamt 160 Hörsäle und Seminarräume saniert und mit einer Klimaanlage ausgestattet, auch die alten. In manchen lassen sich die Fenster dennoch öffnen – was man aber nicht tun sollte, da sonst das Klimasystem gestört wird. Dozenten sind entsprechend instruiert. Die Botschaft ist einfach: Die Hörsäle reagieren auf die Menschen, die darin sitzen. Die Klimaanlage – ein System aus Heizung, Kühlung und Lüftung – funktioniert über Bewegungsmelder und CO2-Sensoren. «Anwesenheitsgesteuert», nennt es Patrick Egli, Leiter des Betriebsdienstzentrums der Universität Zürich. Der CO2-Sensor merkt, wie viele Personen im Saal sind, das heisst wie stark die CO2-Belastung der Raumluft ist. Aufgrund der gemessenen Daten reguliert sich das System selbst. Die angepeilten Werte basieren auf Vorgaben des Kantons Zürich und der Universität Zürich mit dem Ziel, die Energieeffizienz stetig zu verbessern. Steigt der CO2-Gehalt beispielsweise über den Grenzwert von 1000 Parts per Million (ppm), wird über das Leitungssystem frische Luft zugeführt. Um die Temperatur von 21 Grad im Winter zu halten, wird automatisch geheizt. Gekühlt wird erst ab Aussentemperaturen von 26 Grad. Ein Wärmerückgewinnungssystem verhindert, dass zu viel Energie verschwendet wird. Generell rechnet man bei solchen modernen Systemen mit Energieeinsparungen von 60 bis 90 Prozent.

Dekoration als Tarnung

Die Luftzufuhrwege, die in alten Hörsälen nachträglich eingebaut wurden, sind äusserst geschickt getarnt: In der Aula im Hauptgebäude der Universität Zürich beispielsweise sind die Öffnungen zwischen Stukkaturen, der Deckendekoration aus Gips, angebracht. Die Rohre führen in den Dachstock und von dort ins Freie.

Passt das Klima dem Publikum im Saal trotz Automation nicht, kann über eine Hotline Hilfe angefordert werden. Aus 16 000 Räumen inklusive Büros gehen pro Jahr rund 50 000 Anrufe ein, doch nur knapp 5000 davon betreffen das Klima. Quietschende Türen, zu wenig Licht und andere Phänomene sorgen für mehr Ärger. Und: In den 5000 klimatisch bedingten Rückmeldungen sind auch die automatischen Störungsmeldungen eingerechnet. Diese erreichen die Haustechnik, wenn das System ausfällt. Fazit: Wegen des Klimas greift kaum einer zum Hörer.

Doch so richtig wohl fühlen werden sich nie alle. «Das Regelungssystem ist so eingestellt, dass es für rund 80 Prozent der Raumnutzer passt und die Vorgaben zur Energieeffizienz erreicht werden können», sagt Egli. Wer nicht Durchschnitt ist, hat Pech. «Der Einzelne bekommt bei der Planung kein Gewicht. In einem Hörsaal zählt das Wohl der Mehrheit», sagt auch Kim Büchli, Architekt bei Büchli Pfaff Architekten, die für die Universität Basel Standards für Hörsäle erarbeitet haben. Auch in Basel wurden die Hörsäle klimatisch saniert und sind meist automatisch gesteuert. Und auch dort sind sich die Experten einig: Funktioniert die Automation, hat der Einzelne im Idealfall kein Bedürfnis, selbst zu schalten.

Ein Schuss Psychologie

Hat der klimatisch entmündigte Mensch es dennoch, hilft in manchen Fällen bereits ein bisschen Placebo: In einigen der Büros der Universität Zürich, in denen es aus Energiespargründen keine Kühlung gibt wie in den Hörsälen, wurden an den Heizungsradiatoren Begrenzungen eingebaut. Man kann also drehen, ein bisschen Einfluss nehmen, befriedigt damit aber vor allem den Drang, etwas zu unternehmen. Kurt Hildebrand, der Gebäudetechnikprofessor der HSLU, findet das richtig. «Der Mensch muss Einfluss nehmen können; das Raumklima darf kein Diktat sein», sagt er. Gute Planung mache das möglich. Und ein Schuss Psychologie kann auch nicht schaden.

 

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