Forschung für gesunde Raumluft
Das Fraunhofer Institut baut seine Forschung, inkl. Indoor air testcenter aus. Forscher unterstützten damit angenehmes Klima in Wohnungen, Büros und Co.
Text: Marion Horn
Unangenehme Gerüche, stickige Luft oder permanenter Durchzug: Wer in der Wohnung oder im Büro regelmäßig schlechter Luft ausgesetzt ist, fühlt sich oft unwohl. Auch Ausdünstungen von Teppichen, Farben, Lacken und Möbeln können ebenso wie Schimmel oder zu trockene Luft das Raumklima beeinträchtigen. Forscherinnen und Forscher des Fraunhofer-Instituts für Bauphysik IBP untersuchen, was gutes Raumklima ausmacht und entwickeln mit Industriepartnern ausgetüftelte Lüftungssysteme.
»Es gibt keine Materialien ohne Emissionen und Gerüche«, erklärt Dr. Andrea Burdack-Freitag, Sensorikexpertin am IBP in Valley bei Holzkirchen. »Nicht alle Stoffe, die in die Luft diffundieren, sind schädlich. Manchmal leiden wir jedoch an tränenden Augen, Halskratzen oder Kopfschmerzen.« Auslöser für solche unerfreulichen Folgen können flüchtige organische Verbindungen, kurz VOCs (Volatile Organic Compounds) sein, wie Formaldehyd, oder auch zu trockene Luft.
»Treten Beschwerden auf oder riecht es irgendwo dauerhaft unangenehm, analysieren wir die Emissionen, die die Luft beeinflussen und suchen nach der Ursache«, erklärt die Forscherin. Dazu setzen sie und ihre Kollegen der Gruppe Chemie und Sensorik eigens für die Luftqualitätsmessung konzipierte Sensoren und Messgeräte und auch ihre Nasen ein. »Unser Geruchssinn ist häufig sogar sensitiver als die Messgeräte. Der Mensch nimmt Gerüche bereits bei Stoffkonzentrationen von Nanogramm pro Kubikmeter wahr und ist somit empfindlicher als normale Detektoren.« Burdack-Freitag und ihr Team spüren in Wohn-und Nutzimmobilien nicht nur die Ursachen für Gestank auf, sondern beraten Bauherren und Eigentümer, was sie tun könnten, um die Luftqualität und das Raumklima zu verbessern.
Geruchssinn trainieren
Die Experten am IBP »trainieren« ihren Geruchssinn regelmäßig. Die Forscherin nimmt Proben aus dem Schrank, die aussehen wie Textmarker. »Das ist unser Trainingsset«, verrät Andrea Burdack-Freitag. Die ausgewählte Probe stinkt: »Dieser Geruch entsteht unter anderem durch nicht abgebundene Wandfarben«, erklärt die Wissenschaftlerin und ergänzt: »Leider ist es nicht zu vermeiden, Werkstoffe zu verbauen, die flüchtige organische Stoffe wie Thiole, Ester, Aldehyde und Amine enthalten.« Die VOCs stecken in fast jedem Bauteil, zum Beispiel in Form von Lösungsmitteln. Ihr Tipp für Bauherren: Estrich und Farbe von Neubauten gut austrocknen lassen und Reste von Teppichklebern oder Schleifstaub gründlich entfernen, so dass diese nicht mit frischem Klebstoff oder Lacken reagieren und unerwünschte Gerüche entstehen.
Damit es erst gar nicht zu starken Ausdünstungen kommt, untersuchen die Forscher auch Produkte, die sich in Räumen befinden: »Schon im Vorfeld testen wir neue Innenraummaterialien – beispielsweise Beschichtungen – auf ihre Emissionen. So können Hersteller sicherstellen, dass keine Grenz-werte überschritten werden«, sagt Burdack-Freitag. Auftraggeber für die Expertisen der Sensoriker sind Bauprodukt- und Möbelhersteller, die zertifizierte Zulassungen benötigen sowie Gemeinden, Wohnungsbaugesellschaften oder Schulträger.
Auf der Suche nach dem idealen Raumklima
Wie verteilen sich Belastungen durch VOCs oder CO2 im Raum? Gibt es Ablagerungen? Wie sind die Strömungsverhältnisse und wie gestaltet sich der Luftaustausch? Auf Grundlage ihrer Untersuchungen entwickeln Wissenschaftler gemeinsam mit Industriepartnern ausgetüftelte Lüftungssysteme und optimieren deren Wirkung. Noch in diesem Jahr wollen die IBP-Forscher das neue Indoor Air Test Center eröffnen. »Dort können wir die Luft künftig gezielt mit biologischen und chemischen Substanzen sowie mit Partikeln unterschiedlicher Größe und Form belasten, Temperaturen bis zu 80 Grad Celsius fahren, die Luftfeuchtigkeit auf maximal 95 Prozent erhöhen und zudem die Luftvolumenströme präzise regeln. Mit der Hightech-Ausstattung können wir neue Filtertechnologien testen. Wir bauen auch komplette Büro- oder Wohnausstattungen auf und führen dann VOC-Untersuchungen durch«, erläutert Thomas Kirmayr, Leiter der Gruppe Raumklimasysteme. Auch an innovativen Luftführungen für Spezialräume – wie Operationssäle – wollen die Wissenschaftler in den neuen Laboren arbeiten. Sie sollen zum Beispiel bei chirurgischen Eingriffen vermeiden, dass mit der aufsteigenden Luft Keime in den OP-Saal eindringen. Das Test Center ist befahrbar. So können die Experten dort die Luftqualität in Fahrzeugen prüfen. Diese Tests sind notwendig, da in Autos eine Vielzahl von neuartigen Verbundwerkstoffen stecken.
Auf welche Weise lässt sich nun bestimmen, wie gut oder wie verbraucht die Raumluft ist? »Bisher galt nur eine hohe CO2-Konzentration als Indikator für schlechte Luftqualität. Diesen Wert messen Sensoren und melden ihn dem Lüftungssystem. Wir gehen einen Schritt weiter und untersuchen parallel weitere Parameter. Dazu verwenden wir Sensoren, die Kohlendioxid, Stickoxide und Ozon aufzeichnen. Außerdem setzen wir auf Metalloxid-Halbleiter, die sogar beim Verzehr von bestimmten Speisen und Getränken sowie menschlichen Emissionen ausschlagen«, schildert Burdack-Freitag. Auf Basis der verschiedenen Messwerte kann eine Lüftungssteuerung genauer als bisher etwa auf stickige Luft bei Besprechungen reagieren.
Welche Lüftung in welchem Gebäude am sinnvollsten eingesetzt werden sollte, ist eine der zentralen Fragen während der Planungsphase eines Neubaus. Hier helfen Simulationsmodelle bei der Entscheidung. »Dabei ist zu beachten: Luftwechselrate und Lüftungseffektivität sind zwei unterschiedliche Untersuchungsgrößen. Die Rate beschreibt, welches Luftvolumen pro Stunde in den Raum strömt. Zieht die frische Luft nicht durch das Zimmer, sondern durch das Fenster nebenan gleich wieder ab, findet kein effektiver Austausch statt«, erklärt Thomas Kirmayr und ergänzt: »Man muss bereits in der Bauplanung sicherstellen, dass die Luft wirklich ausgetauscht wird. Hochauflösende virtuelle Modelle helfen dabei, diese Szenarien zunächst am Computer zu testen. So lassen sich später kostenintensive Umbauten vermeiden.
Das IBP hat für die Prognose das dreidimensionale Zonenmodell VEPZO entwickelt, mit dem wir Konzepte bewerten und lokal aufgelöst visuell darstellen. Wir sehen rasch, was der geschickte Einsatz von Pflanzen oder eine anwesenheitsorientierte Heizung bringt.« Die Software kann auch für bestehende Bauten verwendet werden. Auf Basis der Simulationen können Unternehmer dann entscheiden, ob sich die Investition in ein neues oder besseres Lüftungssystem lohnt. Ein weiteres Planungstool aus dem IBP ist die Softwarefamilie WUFI®. Mit dem Programm berechnen die Experten den Wärme- und Feuchtetransport in Bauteilen oder kompletten Gebäuden. So kann man voraussagen, welche Feuchteschäden entstehen oder wie hoch die Dämmwirkung sein wird.
Aber wann und wie oft lüften die Nutzer von Wohnungen und Büros? Wie sich die Menschen verhalten, ist von vielen Faktoren abhängig: Temperatur und Lärm spielen eine ebenso bedeutende Rolle wie Gewohnheit oder Tageszeit. Besonders im Hinblick auf die Energieeffizienz ist eine automatische Lüftung meist die sparsamere Lösung. »Lüftungssysteme müssen nutzerfreundlich sein, sonst werden sie nicht akzeptiert. Daher arbeiten wir an flexiblen Systemen, die sich dem Bedarf anpassen und erkennen, wann etwa Teilnehmer einer langen Besprechung frische Luft benötigen. Eine Idee ist, das Raumklima leicht zu variieren, denn das empfinden wir häufig als angenehmer«, sagt Kirmayr.
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In asiatischen Ländern müssen Lüftungssysteme andere Schwierigkeiten bewältigen. Die Luftfeuchtigkeit ist dort meist höher als in Europa. Bevor man die Außenluft zur Lüftung nutzen kann, muss ihr erst aufwändig Wasser entzogen werden. Das benötigt viel Energie. Effizienter ist es, die bereits vorhandene Raumluft mit Filtersystemen zu reinigen. Eine weitere Herausforderung ist die Luftverschmutzung. »Wir waren wegen eines Projekts in Shanghai. Dort war die Luft so stark belastet, dass die Menschen mit Atemschutzmasken im Büro saßen. Deswegen sind Luftwäscher, die Feinstaubpartikel herausfiltern, in China sehr gefragt«, erzählt Kirmayr. Auch für diese drängenden Probleme entwickeln die Raumluftexperten maßgeschneiderte Lösungen. Der Bedarf an gesunder Raumluft ist hoch. Frische Luft ist die Voraussetzung dafür, daß wir uns wohl fühlen, uns gut entspannen und konzentriert arbeiten können.




